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Broschüre – Argumente für ein BAföG für Alle

„BAföG für Alle“ heißt: Der Regelsatz muss existenzsichernd, das heißt tatsächlich bedarfsdeckend gemessen an den Lebenshaltenskosten, gestaltet sein. Dafür lässt sich ein pauschaler Grundbedarf von 1.200 Euro monatlich veranschlagen, der alle anfallenden Kosten (inkl. Miete) abdeckt und inflationsgebunden wächst. Diese Grundförderung muss als Vollzuschuss, d.h. ohne Rückzahlpflichten, gewährt werden – und zwar jeder und jedem Studierenden, Auszubildenden und Schüler:in, die außerhalb des Elternhauses leben, unabhängig von Alter, Herkunft, Studiendauer und Einkommen der Eltern.

Teilreformen in dieser Richtung wurden über die Jahre immer wieder von verschiedenen Akteuren – darunter aktuell auch dem Deutschen Studierendenwerk sowie dem fzs (freier zusammenschluss der studierendenschaften) gefordert und vorgeschlagen. Damit aber gegen eine Haushaltspolitik von Rüstungsmilliardengeschenken, fortgesetzter Begünstigung der Krisengewinnler:innen und drastischen Sozialkürzungen ein exemplarischer Tendenzwechsel in der Studienfinanzierung überhaupt gesellschaftlich durchgesetzt werden kann, bedarf es engagierter studentischer Bewegung, die weit über die Hochschulen hinauswirkt.


Mit dieser Broschüre wollen wir dazu beitragen, eine solche Bewegung zu initiieren und auf überzeugende argumentative Grundlagen zu stellen, indem wir aus unterschiedlichen fachspezifischen Perspektiven beleuchten, inwiefern das „BAföG für Alle“ tatsächlich einen weitreichenden Fortschritt für die Gesellschaft insgesamt darstellt.


Aus sozialwissenschaftlicher Sicht werden dabei zunächst die gängigen Einreden und Vorurteile gegenüber einer sanktionsfreien sozialen Mindestsicherung wie dem „BAföG für Alle“ widerlegt. Aus Perspektive der sozialen Arbeit wird begründet, inwiefern „BAföG für Alle“ ein gemeinsamer Kampf von Studierenden, Erwerbslosen und abhängig Beschäftigten für ein prinzipiell neues Verständnis solidarischer Sozialstaatlichkeit ist. Aus erziehungswissenschaftlicher, medizinisch-gesundheitswissenschaftlicher und psychologischer Betrachtung wird verdeutlicht, welche gesellschaftlich allgemeinwohlfördernden Effekte das „BAföG für Alle“ auf Kultur, Bedingungen und Inhalte des Bildungs- und Wissenschaftsprozesses hat. Sozialökonomisch wird begründet, inwiefern ein „BAföG für Alle“ nicht nur problemlos finanzierbar ist, sondern sogar positive konjunkturelle Kurz- und Langzeitfolgen zeitigt. Aus juristischer Sicht wird schließlich dargelegt, auf welche rechtlichen Grundlagen gestützt ein „BAföG für Alle“ durchgesetzt werden kann. Der Blick auf andere Studienförderungsmodelle im internationalen Vergleich zeigt beispielgebend auf, auf welche bereits realisierten Aspekte eines „BAföG für Alle“ sich in dieser Auseinandersetzung bezogen werden kann. Und der historische Abriss über die Entwicklung des „BAföG“ in Deutschland soll zeigen, was bereits hierzulande zu erkämpfen möglich war und wie das gelungen ist, um daraus für heute lernen zu können.

So mag aus „niemals“ ein „heute noch“ werden. Wir wünschen anregende Lektüre.


Inhalt


Einleitung

BAföG für Alle – Ein Wolkenkuckucksheim?

Solidarität statt Individualisierung – das BAföG für alle als Paradigmenwechsel

Aufbruch zum eingreifenden Erkenntnisgewinn – Lernen kann Freude machen

Gesund studieren – Wie es gelingt!

Diversität statt Elitarismus – ein Unterschied ums Ganze

BAföG für Alle – eine volkswirtschaftliche Win-Win-Win-Win-Situation

Würde des Menschen statt Armut per Gesetz – Zur grundrechtlichen Bedeutung der Studienfinanzierung

Es geht! Sinnvolle Studienfinanzierung in anderen Ländern

„Wie es ist, bleibt es nicht“ – der Kampf um das BAföG hat Geschichte

Broschüre als PDF


Einleitung


Die soziale Lage von Studierenden in Deutschland ist dramatisch. Laut nur geringfügig variierenden Daten aus Erhebungen des Deutschen Studierendenwerks, des Statistischen Bundesamts und unabhängiger Studien an einzelnen Hochschulen leben derzeit ca. zwei Drittel aller Studierenden unterhalb der Armutsgrenze. Mehr als ein Drittel ist nicht in der Lage, unerwartete größere Ausgaben tätigen zu können. Etwa zwei Drittel müssen neben dem Vollzeitstudium einer oder mehreren Nebentätigkeiten nachgehen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Durchschnittlich etwa ein Fünftel lebt aus finanziellen Gründen noch oder wieder bei seinen Eltern. Psychische Erkrankungen (wie Burnout, Depression, Angststörungen, Medikamentenabhängigkeit, Suizidalität, etc.) sind unter Studierenden teilweise um ein Drittel erhöht gegenüber Vergleichsgruppen der Durchschnittsbevölkerung. Die Zahl der Studienbewerber:innen ist seit mehreren Jahren rückläufig.

Dies ist nicht nur ein gravierendes Problem für alle unmittelbar Betroffenen, die in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit noch immer vornehmlich als „Privilegierte“ wahrgenommen werden, die sich „mal nicht so haben sollten“. Es ist zudem ein sozialpolitisches Armutszeugnis für eines der reichsten Länder der Welt und eine bildungspolitische Hypothek wachsenden Ausmaßes für eine Wissensgesellschaft im 21. Jahrhundert, die für ihre Fortentwicklung auf die stetige akademische Höherqualifizierung ihrer Bevölkerung fundamental angewiesen ist.

Die 1971 in Folge weitreichender Kämpfe der bundesweiten Studierenden- und Auszubilden den-Bewegung eingeführte staatliche Ausbildungsförderung (BAföG) trug ursprünglich nicht nur dem Umstand Rechnung, dass die in Artikel 1 des Grundgesetzes verbriefte Menschenwürde auch für alle Studierenden, Auszubildenden und Schüler:innen, die nicht im Elternhaus leben, gelten muss und damit der Rechtsanspruch auf ein sozialstaatlich abgesichertes Existenzminimum einhergeht. Im BAföG drückte sich auch aus, dass die materielle Absicherung der Auszubildenden sowie die damit verbundene soziale Öffnung und kritisch allgemeinwohlorientierte Weiterentwicklung der höheren Bildungsstätten von vitalem Interesse für die gesamte Gesellschaft ist.

Das heutige BAföG mit seinen hochbürokratisierten Zugangsbarrieren, mit seinen vielzahligen Fördereinschränkungen, seiner kreditförmigen Rückzahlungslast und seinen weit unter den realen Lebenshaltungskosten liegenden Regelsätzen ist jedoch zu einem sozialpolitischen Gnadenakt verkommen, der nicht einmal mehr als „Tropfen auf den heißen Stein“ bezeichnet werden kann. Der Anteil der BAföG-empfangenden Studierenden ist mittlerweile von ursprünglich 44% (1971) auf 12% gesunken – Tendenz weiter fallend.

Es bedarf also einer grundlegenden Neuausrichtung, welche gerade in Zeiten tiefgreifender Krise herausragende Bedeutung für einen solidarischen Kurswechsel in der gesellschaftlichen Entwicklung insgesamt erlangen kann. Eine solche Neuausrichtung muss sich – unter weiterentwickelten Rahmenbedingungen – auf den ursprünglich erkämpften Charakter einer staatlich garantierten, existenzsichernden Ausbildungsvergütung beziehen. Dabei geht es nicht um individuelle Aufstiegschancen, sondern um die exemplarische Schaffung gleicher Bedingungen zur gemeinsamen Teilhabe an der bewussten, kooperativen Gestaltung allseitig menschenwürdiger Lebensbedingungen. Deswegen lautet der Anspruch „BAföG für Alle“ – und umfasst somit auch ein aktualisiert progressives Verständnis von Sozialstaatlichkeit.

„BAföG für Alle“ heißt: Der Regelsatz muss existenzsichernd, das heißt tatsächlich bedarfsdeckend gemessen an den Lebenshaltenskosten, gestaltet sein. Dafür lässt sich ein pauschaler Grundbedarf von 1.200 Euro monatlich veranschlagen, der alle anfallenden Kosten (inkl. Miete) abdeckt und inflationsgebunden wächst. Diese Grundförderung muss als Vollzuschuss, d.h. ohne Rückzahlpflichten, gewährt werden – und zwar jeder und jedem Studierenden, Auszubildenden und Schüler:in, die außerhalb des Elternhauses leben, unabhängig von Alter, Herkunft, Studiendauer und Einkommen der Eltern.

Teilreformen in dieser Richtung wurden über die Jahre immer wieder von verschiedenen Akteuren – darunter aktuell auch dem Deutschen Studierendenwerk sowie dem fzs (freier zusammenschluss der studierendenschaften) gefordert und vorgeschlagen. Damit aber gegen eine Haushaltspolitik von Rüstungsmilliardengeschenken, fortgesetzter Begünstigung der Krisengewinnler:innen und drastischen Sozialkürzungen ein exemplarischer Tendenzwechsel in der Studienfinanzierung überhaupt gesellschaftlich durchgesetzt werden kann, bedarf es engagierter studentischer Bewegung, die weit über die Hochschulen hinauswirkt.

Mit dieser Broschüre wollen wir dazu beitragen, eine solche Bewegung zu initiieren und auf überzeugende argumentative Grundlagen zu stellen, indem wir aus unterschiedlichen fachspezifischen Perspektiven beleuchten, inwiefern das „BAföG für Alle“ tatsächlich einen weitreichenden Fortschritt für die Gesellschaft insgesamt darstellt.

Aus sozialwissenschaftlicher Sicht werden dabei zunächst die gängigen Einreden und Vorurteile gegenüber einer sanktionsfreien sozialen Mindestsicherung wie dem „BAföG für Alle“ widerlegt. Aus Perspektive der sozialen Arbeit wird begründet, inwiefern „BAföG für Alle“ ein gemeinsamer Kampf von Studierenden, Erwerbslosen und abhängig Beschäftigten für ein prinzipiell neues Verständnis solidarischer Sozialstaatlichkeit ist. Aus erziehungswissenschaftlicher, medizinisch-gesundheitswissenschaftlicher und psychologischer Betrachtung wird verdeutlicht, welche gesellschaftlich allgemeinwohlfördernden Effekte das „BAföG für Alle“ auf Kultur, Bedingungen und Inhalte des Bildungs- und Wissenschaftsprozesses hat. Sozialökonomisch wird begründet, inwiefern ein „BAföG für Alle“ nicht nur problemlos finanzierbar ist, sondern sogar positive konjunkturelle Kurz- und Langzeitfolgen zeitigt. Aus juristischer Sicht wird schließlich dargelegt, auf welche rechtlichen Grundlagen gestützt ein „BAföG für Alle“ durchgesetzt werden kann. Der Blick auf andere Studienförderungsmodelle im internationalen Vergleich zeigt beispielgebend auf, auf welche bereits realisierten Aspekte eines „BAföG für Alle“ sich in dieser Auseinandersetzung bezogen werden kann. Und der historische Abriss über die Entwicklung des „BAföG“ in Deutschland soll zeigen, was bereits hierzulande zu erkämpfen möglich war und wie das gelungen ist, um daraus für heute lernen zu können.

So mag aus „niemals“ ein „heute noch“ werden. Wir wünschen anregende Lektüre.


BAföG für Alle – ein Wolkenkuckucksheim?


„Der Student ist ein geistiger Arbeiter.“ So lautet der erste Satz der 1946 verabschiedeten „Charta de Grenoble“ des französischen Studierendenverbands UNEF (Union Nationale des Étudiants de France). Auf diese Erkenntnis gründen sich seit Ende des Zweiten Weltkriegs die Forderungen der europäischen Studierendenbewegungen nach einem Studienhonorar. Ein:e Arbeiter:in hat das Recht, für die Tätigkeit entlohnt zu werden. Studieren ist intellektuelle Arbeit, denn der geistige Akt der Hervorbringung, Erarbeitung, Infragestellung, Aneignung, Wiedergabe und Verbreitung von Erkenntnissen ist integraler Bestandteil des Wissenschaftsprozesses. Auf diese Weise ist die Arbeit des/der Studierenden unverzichtbar für die Reproduktion und qualifizierte Weiterentwicklung der gemeinschaftlichen Lebensgrundlagen. Die heutige geistig-kulturelle, technologische und materiell-soziale Komplexität der Arbeitsteilung in einer global vernetzten Industriegesellschaft erfordert – schon zur Aufrechterhaltung dieser – die stetige wissenschaftliche Höherqualifizierung der menschlichen Arbeitskraft und die zunehmende „Verwissenschaftlichung“ des gesellschaftlichen Lebens insgesamt. Deshalb wächst mit dem Fortschritt auch die Notwendigkeit lebenslangen Lernens.

Erst recht bedarf es in zunehmendem Maße „geistiger Arbeiter“ – sprich wissenschaftlich qualifizierter, kooperativ engagierter, mündiger Persönlichkeiten –, um die großen Herausforderungen unserer Zeit menschenwürdig zu beantworten: für eine nachhaltige Energieversorgung und die Überwindung der Klimakatastrophe, für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung und die Überwindung der sozialen Ungleichheit, sowie für die Schaffung global friedlicher Verhältnisse und die Überwindung struktureller Gewalt. Das ist der reale Hintergrund des vielfach beschworenen sogenannten „Fachkräftemangels“. Ein „BAföG für Alle“ als unbefristete, nicht-rückzahlungspflichtige, alters-, eltern- und herkunftsunabhängige Studienfinanzierung, die die realen Lebenshaltungskosten (aktuell ca. 1200€) inflationsangepasst deckt, entspricht also einer umfassenden gesellschaftlichen Notwendigkeit. Diesem begründeten Erfordernis in seinen einzelnen Aspekten werden jedoch immer wieder allerlei Vorbehalte und Mythen entgegengebracht, die wir im Folgenden widerlegen wollen.

Für alle!

Haben nicht diejenigen, die im Studium besonders viel leisten, Anrecht auf bessere Bedingungen?

Alle haben ein Anrecht darauf, sorgenfrei unter guten Bedingungen zu studieren. Nur so kann sich die geistige Kreativität eines Jeden zu verallgemeinerbaren Zwecken entfalten. Das auf Selektion gegründete „Leistungsprinzip“ ist eine ideologische Irrfahrt zurück auf die Bäume. Wissenschaft ist kein kommerzialisiertes Sport-Event, sondern ein gesellschaftliches Erfordernis zur Mehrung des allgemeinen Wohls (s. oben). Sie lebt vom kooperativen Erkenntnisgewinn und dessen Vergesellschaftung. Je mehr Menschen klüger werden, desto besser ist das für Alle.

1200€ monatlich ohne Rückzahlung (Vollzuschuss)

Dafür ist doch gar nicht genug Geld da, würde es dann nicht in anderen Bereichen fehlen?

Geld ist mehr als genug da. Die Frage ist nur, wofür es staatlicherseits ausgegeben wird. Jeder Cent, der in Bildung, Forschung und Entwicklung fließt (im Übrigen auch in Kultur, Gesundheit, soziale Daseinsvorsorge und öffentliche Infrastruktur) oder direkt über das BAföG an Studierende geht, ist ein mehrfaches Gewinngeschäft für die Gesellschaft und die Staatskassen, denn er entfaltet eine enorme sofortige und nachhaltige Produktivität. (Mehr dazu ist im Text zum volkswirtschaftlichen Nutzen des BAföG zu finden.) Das betrifft neben Konsumausgaben und Mietkosten beispielsweise auch die „Schaffung“ neuer Arbeitsplätze, wenn Studierende keine Nebenjobs mehr benötigen, um sich das Studium zu finanzieren.

Nichts davon lässt sich über die meisten der in letzter Zeit verteilten Milliardengeschenke an Superreiche, Großkonzerne und die Rüstungsindustrie behaupten. Diese „Investitionen“ zerstören gesellschaftlichen Reichtum bzw. lenken ihn in völlig unproduktive, private Sackgassen (Steueroasen etc.) um und verschlingen immer größere Summen.

Zum Vergleich: Das „BAföG für Alle“ würde auf aktuellem Stand, wenn alle rund 4 Millionen Studierenden, Azubis und Schüler, die außerhalb des Elternhauses leben, es vollständig in Anspruch nähmen, etwa 57,6 Milliarden Euro jährlich kosten. Die 40 DAX-Konzerne schütten 2024 Dividenden (also die vom jeweiligen Unternehmensgewinn abgesonderten Privatrenditen an die Aktienbesitzer:innen – „Leistungsloses Einkommen“ par excellence) in Höhe von geschätzten 54,6 Milliarden Euro aus. Das „Sondervermögen Bundeswehr“ garantiert der Rüstungsindustrie ein jährliches staatliches „Zubrot“ in Höhe von 20 Milliarden Euro. Die Stadt Hamburg „versäumt“ es seit Jahren, genügend Finanzbeamte einzustellen, um Steuerprüfungen bei größeren Unternehmen durchzuführen oder auch nur Steuerrückstände einzuziehen. Allein letztere belaufen sich inzwischen auf stattliche 1,8 Milliarden Euro (2022) – allen 120.000 Studierenden der Hansestadt könnte man dafür ein Jahr lang das „BAföG für Alle“ zahlen.

Die enormen Gewinne zu besteuern, die aus der Arbeit der Vielen stammen (nicht zuletzt auch aus der geistigen Arbeit der Studierenden), sinnvollere Haushaltsprioritäten zu setzen oder auch nur bestehende Steuern konsequent einzutreiben: All das sind also Wege, um zu finanzieren, was gesellschaftlich förderlich ist.

Ohne begrenzte Dauer und altersunabhängig.

Nutzen dann nicht alle BAföG aus, um unbegrenzt zu studieren?

Dieser Behauptung liegt die neoliberale Ideologie zugrunde, wonach der Mensch genetisch bedingt ein arbeitsfaules Wesen sei, das stets auf Kosten anderer seinen Vorteil suche. Sie wird allerdings, nur weil sie immer wieder gegen jegliche Form solidarischer, sozialer Sicherung in Anschlag gebracht wird, nicht zutreffender. Schon entwickelte Säugetiere sind soziabler, als es hier über den Menschen behauptet wird. Dieses krude Menschenbild spiegelt die strukturell-gesellschaftliche Praxis derjenigen Wenigen, die sich den durch die Arbeit der Vielen kooperativ geschaffenen Reichtum tagtäglich privat zu niederen Zwecken aneignen (s. Dividende). Man sollte aber von 8 Milliardären nicht auf 8 Milliarden Menschen schließen.

Alle Empirie lehrt: Auch sozial abgesicherte Menschen neigen dazu, zu arbeiten. Wenn die Arbeit sinnvollen Inhalts ist (was in solidarisch gestalteten Gemeinwesen umso häufiger vorkommt), tun sie dies sogar tendenziell gern. Das liegt daran, dass der Mensch durch Arbeit, also die bewusste, kooperative Gestaltung und Aneignung seiner gemeinschaftlichen Lebensbedingungen, sein Menschsein realisiert. Lebenslanges Lernen ist integraler Bestandteil dieser Arbeit und als grundlegendes Menschenrecht (Art. 26 (1) der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte) dringend zu verwirklichen.

Lernen ist menschlich.

„Wer aufhört zu lernen ist tot.“ (B.B. King)

Elternunabhängig.

Ist das nicht ungerecht, wenn die Kinder reicher Eltern auch Geld bekommen?

Der Impuls, den Reichen nicht noch mehr Geld verschaffen zu wollen, ist zwar richtig. Allerdings ist auch richtig, dass ein sinnvolles, produktives und allgemeinwohlorientiertes Studium erst dann möglich wird, wenn Alle ihre geistige Neugier, ihre kreativen Neigungen und spezifischen Interessen unabhängig vom soziokulturellen Normierungsdruck des Elternhauses entfalten können.

Die Befreiung von der finanziellen Abhängigkeit der Eltern schafft gerade für Studierende aus wohlhabenderen Kreisen mitunter erst die notwendige Grundlage, um auch jene gesellschaftlichen Zusammenhänge kritisch in Frage zu stellen, von denen ihr soziales Umfeld bislang möglicherweise sogar profitierte. An die Stelle konformer Normerfüllungserwartungen kann kritische Wissenschaftlichkeit mit einem überindividuellen Ethos treten. So ist die Überwindung der familiären „Verpflichtungen“ ein Gewinn für Alle. Im Übrigen sollten reiche Eltern nicht „ihren“, sondern allen Kindern das Studium finanziell ermöglichen, indem sie angemessene Steuern zahlen.

Herkunftsunabhängig.

Kommen dann nicht alle nach Deutschland, um das Bildungssystem hier auszunutzen und danach wieder zu gehen?

Wissenschaft kennt keine Grenzen. Produktiver Erkenntnisgewinn gelingt nur in internationaler Kooperation. Insbesondere zur Lösung der globalen Probleme, die mehrheitlich in den entwickelten Industrienationen geschaffen werden, kann es gar nicht genug „Wissensabfluss“ in die Gesellschaften des globalen Südens geben. Auch wird keines der hiesigen Probleme dadurch gelöst, dass man irgendjemandem die Möglichkeit zur wissenschaftlich qualifizierten Weltaneignung auf Höhe der Zeit verwehrt. Im Gegenteil: Gerade internationale Studierende bringen mitunter entscheidende Denkanstöße, neue Perspektiven oder teilweise vorher komplett unbekannte Lösungsansätze in die wissenschaftliche Debatte ein und tragen damit in besonderer Weise zum allgemeinen Erkenntnisfortschritt bei. Zudem gilt: Bildung ist ein unteilbares, universelles Menschenrecht. Nach 500 Jahren Kolonialismus und gewaltsamer Ausbeutung des globalen Südens ist die rechtliche Gleichstellung von internationalen und „einheimischen“ Studierenden bei der Studienförderung das Minimum dessen, was man auch nur ansatzweise „Bildungsgerechtigkeit“ nennen könnte.


Solidarität statt Individualisierung – das BAföG für Alle als Paradigmenwechsel


„Eine der schauerlichsten Folgen der Arbeitslosigkeit ist wohl die, daß Arbeit als Gnade vergeben wird. Es ist wie im Krieg: wer die Butter hat, wird frech.“

Kurt Tucholsky, „ … zu dürfen “ (1930)

Indem wir ein „BAföG für Alle“ erkämpfen, sagen wir der Armut unter Studierenden den Kampf an und nehmen es mit der neoliberalen Ideologie der Eigenverantwortung und der damit verbundenen Leistungsideologie des „Fördern und Forderns“ auf. Für eine neue anspruchvolle Haltung in den sozialen Kämpfen und einen Paradigmenwechsel durch soziale Kämpfe!

Bis 2002 galt: Wenn ein Mensch arbeitslos geworden ist, dann war er bereits dadurch geschlagen, dass er:sie nicht die Möglichkeit hatte, im Rahmen von Erwerbsarbeit gesellschaftlich produktiv zu sein. Das gezahlte Arbeitslosengeld war eine Art staatliche Entschädigung – von der Arbeiter:innenbewegung über Jahrzehnte mühsam erstritten. Mit der Agenda 2010 und dem Erstarken der Eigenverantwortungsideologie wurde aus dem Arbeitslosengeld „Hartz IV“, heute euphemistisch Bürgergeld genannt. In diesem Zuge wurde eine wirtschafts- und sozialpolitische Umdeutung vorgenommen, die den Profitinteressen großer Konzerne wunderbar zupasskam: Das politische Ziel, Vollbeschäftigung unter guten Arbeitsbedingungen zu erreichen, wurde aufgegeben. Die Schuld an Erwerbslosigkeit wurde von der politischen Regulierungsverantwortung der Gesellschaft auf den Einzelnen übertragen. Wer „arbeitslos“ sei, habe sich nicht genug angestrengt oder sei generell zu faul und würde dem Staat auf der Tasche liegen. Dem könne nur mit Sanktionen, z.B. durch Leistungskürzungen unter das Existenzminimum, begegnet werden. Die Sanktionen treffen dabei nicht nur diejenigen, die Arbeitslosengeld beziehen. Sie dienen auch als Abschreckung für alle anderen. Die Angst, in die entwürdigenden Maßnahmen des Bürgergeldes (früher ALG II oder „Hartz IV“) abzurutschen, soll auch die arbeitende Bevölkerung ruhig und bescheiden halten und so Arbeitskämpfe hemmen. Das ist unmenschlich, gesellschaftlich kontraproduktiv und gehört grundlegend überwunden.

Ähnlich wie das Bürgergeld ist auch das aktuelle BAföG für Studierende an Bedingungen, wie Regelstudienzeit und individuelle Leistung, gebunden. Und auch hier wird sanktioniert: Studiert man vermeintlich zu lange oder kann die geforderten Leistungspunkte nicht erbringen, so wird einem das BAföG gestrichen. Und wieder heißt es: Schuld daran sei jede:r Einzelne selbst. Wer aber fürchten muss, die Förderung durch das BAföG und damit die materielle Existenzgrundlage zu verlieren, ist gedrängt, konform zu studieren und sich Noten und Klausuren (bzw. den Prüfenden) unterzuordnen. Das macht krank, nicht klug. Dagegen schafft der gemeinsame Einsatz für die Verbesserung der Studien- und Lebensbedingungen Luft zum Atmen. Das Eintreten für „BAföG für Alle“ ist darin eine entscheidende Auseinandersetzung. Denn die materielle Absicherung unterstützt auch, sich für gesellschaftliche Fragen jenseits des Modultableaus zu interessieren, kooperativer und kritischer zu studieren und an der Lösung der zentralen, gesellschaftlichen Herausforderungen zu arbeiten. Eine solche materielle Absicherung zur Verwirklichung gesellschaftlicher Teilhabe haben alle in allen Lebenslagen verdient.

Die Gestaltung der Lebensbedingungen selbst in die Hand zu nehmen ist (nicht nur) für Studierende enorm befreiend. So lässt sich gegen die neoliberale Erzählung über die Alternativlosigkeit von Mangel, Konkurrenz und der Natürlichkeit des Marktgeschehens ein Leben in Würde und sozialer Gleichheit für alle Menschen realisieren. Das ist der Sinn und Inhalt der ursprünglich erkämpften Sozialstaatlichkeit. Sanktionsfreie soziale Mindestsicherungen in jeder Lebenslage bilden ihr materielles Fundament. Wenn wir Kämpfe für soziale Verbesserung nicht trennen, sondern zusammenführen, können wir einen Paradigmenwechsel hin zu einer neuen, solidarischen Gesellschaftlichkeit erreichen. Bereits der Kampf dafür belebt den Alltag und macht Mut, sich nirgends die Butter vom Brot nehmen zu lassen! Arbeit ist genug da. Geld ist genug da.


Aufbruch zum eingreifenden Erkenntnisgewinn – Lernen kann Freude machen


„Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf Bildung an. Sie stimmen überein, dass die Bildung auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und des Bewusstseins ihrer Würde gerichtet sein und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten stärken muss. Sie stimmen ferner überein, dass die Bildung es jedermann ermöglichen muss, eine nützliche Rolle in einer freien Gesellschaft zu spielen, dass sie Verständnis, Toleranz und Freundschaft unter allen Völkern und allen rassischen, ethnischen und religiösen Gruppen fördern sowie die Tätigkeit der Vereinten Nationen zur Erhaltung des Friedens unterstützen muss.”

Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der UN, Artikel 13 (1), 1966.

Universitäten und Hochschulen sind seit jeher Orte, an denen die Gesellschaft gestaltet wird. In welcher Weise das geschieht, ist umkämpft. Die Vereinten Nationen haben in ihrem Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte den Inhalt der Bildung näher bestimmt. In diesem Sinne haben sich auch viele deutsche Hochschulen den 17 Sustainable Development Goals (SDGs), also den Zielen der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung, verpflichtet. Zu diesen Zielen gehört, die Armut und den Hunger zu beenden, hochwertige Bildung für alle zu ermöglichen und weltweit Frieden zu bilden. Das Studium sollte also dafür qualifizieren, die gesellschaftlichen Probleme zu lösen. Um dies umfänglich zu verwirklichen, braucht es eine solidarische öffentliche Studienfinanzierung. So ist ebenfalls im Internationalen Pakt festgehalten, dass „der Hochschulunterricht auf jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit, jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden muss“ (Artikel 13, (2)). Ein BAföG für alle ist ein Schritt zur Realisierung dieses Anspruchs. Es sorgt für die soziale Öffnung des Zugangs zur Wissenschaft, nimmt den finanziellen Druck aus dem Studium, ermöglicht, sich auf dessen Inhalt zu konzentrieren und befördert, souverän dafür zu streiten, dass das Studium zu einer menschenwürdigen Entwicklung der Gesellschaft beiträgt.

Ohne finanzielle Sorgen kann schon der Studiengang durch das eigene Interesse bestimmt gewählt werden. Die Eltern oder die finanzielle Not haben in diesem Fall weniger oder keinen Einfluss mehr auf die Wahl des Fachs. Das Studium muss dann auch nicht aus finanziellen Gründen so schnell wie möglich durchstudiert werden, ohne zu vertiefen. Eine bedarfsgerechte Studienfinanzierung ermöglicht, sinnvollen Fragestellungen nachzugehen, relevante Fragen überhaupt zu stellen und zu beantworten. Dabei sind Fehler und Umwege zulässig, wenn nicht gar erwünscht, um aus ihnen zu lernen. Ebenso wie das kritische Infragestellen der Inhalte von Lehrveranstaltungen. Dies kann zwar auch bei auskömmlicher Studienfinanzierung noch willkürlich sanktioniert werden, aber der weitere Studienverlauf ist dadurch nicht infrage gestellt, weil beispielsweise. eine Wiederholung der Veranstaltung bei einem anderen Lehrenden in einem späteren Semester finanzierbar ist. Und wenn alle Studierenden hinterfragen, dann haben auch Lehrende mehr Spaß an ihren Veranstaltungen, weil alle gemeinsam klüger werden für die gemeinsamen Auseinandersetzungen. Die Diskussionen im Seminar können zur Weiterentwicklung der Forschung beitragen, im besten Sinne der Einheit von Forschung und Lehre. Die Finanzierung des Studiums mit „BAföG für Alle“ befördert so die Herausbildung von gesellschaftsveränderndem Selbstbewusstsein Aller. Eine dementsprechend vitalisierte Diskussionskultur, der rege Austausch unter den Seminarteilnehmenden und die Zeit für die Vertiefung von Fragestellungen sind entscheidende Grundlagen für einen nachhaltigen Lernprozess im Sinne der Verwirklichung der UN-Bildungsziele.

Universitäten und Hochschulen sind durch das BA-/MA-System zu Schmalspur-Qualifizierungseinrichtungen für den Markt geworden. BAföG für Alle hingegen belebt die gemeinsame progressive Neugestaltung der Universität zum allgemeinen Wohl: Lerngruppen, Gremien, Studienreform, kulturelles Engagement zur Belebung und Kultivierung des Campus, politischer Streit im Studierendenparlament, ehrenamtliches Engagement in der Verfassten Studierendenschaft, Planung und Durchführung von Projekten zu wissenschaftspolitischen Fragestellungen, etc. – all dies wird begünstigt, wenn Studierende dafür (mehr) kritische Muße haben. Ein solch lebhaftes Engagement trägt erheblich zur Bildung mündiger Persönlichkeiten bei, die dazu in der Lage sind, an der sozialen, ökologisch nachhaltigen, demokratischen und friedlichen Gestaltung der Gesellschaft mitzuwirken.

So wird das Lernen für alle erfreulich. Wer kann da noch Nein sagen?


Gesund studieren – Wie es gelingt!


Das BAföG als erkämpfte Studienfinanzierung soll ein Studium ermöglichen, welches frei von existenziellen Sorgen ist, sodass sich Studierende vollkommen dem Studium widmen und sich mit ihrer Fachdisziplin und deren gesellschaftlicher Bedeutung auseinandersetzen können. Aber wie steht es aktuell um die Studierendengesundheit?

Aktuelle Entwicklungen der Studienbedingungen in Deutschland sind von immer weiter sinkenden Quoten der BAföG-Förderung geprägt (2021: 11%). Steigende Lebenshaltungskosten und Inflation begünstigen Armut unter Studierenden. Denn selbst bei BAföG-Bezug reicht dieses nicht zur Existenzsicherung aus. Die Auswirkungen der hohen Armutsquote, des niedrigen Anteils an BAföG-Geförderten und des hohen Anteils Studierender, die neben dem Studium durch Erwerbstätigkeit doppelt belastet sind, schlagen sich negativ auf die Gesundheit von Studierenden nieder. Im Zusammenwirken mit weiteren Belastungen, z.B. durch die Vereinzelung im Zuge der Corona-Pandemie, durch Prüfungsdruck und Zukunftsängste, nehmen insbesondere psychische Belastungen immer stärker zu. Dies ist auch durch aktuelle Studiendaten von Krankenkassen belegt. Die Techniker Krankenkasse kommt zu alarmierenden Ergebnissen: 43% der befragten Studierenden gaben an, unter Schlafproblemen zu leiden, 37% fühlen sich stark emotional erschöpft. Der Anteil von Studierenden mit verordneten Antidepressiva stieg von 2019 bis 2022 um gut zweifünftel auf fünf Prozent. Genannte Gründe für die Belastungen sind Prüfungen, die Doppelbelastung durch Studium und Erwerbstätigkeit, Leistungsdruck und finanzielle Sorgen. Neben psychischen Belastungen leidet die körperliche Gesundheit von Studierenden. Die finanzielle Not führt dazu, dass prekäre Beschäftigungsbedingungen angenommen werden und vermehrt schwer körperlich und/oder im Schichtdienst gearbeitet werden muss. Des Weiteren sind gesetzlich versicherte Studierende ebenso von zunehmenden Zuzahlungen in der Gesundheitsversorgung betroffen wie z.B. bei Verhütungsmitteln oder erweiterten Vorsorgeuntersuchungen.

Am Beispiel von Medizinstudierenden wird deutlich, wie paradox die aktuellen Bedingungen sind. Studierende lernen, Erkrankungen von Menschen zu diagnostizieren und zu behandeln sowie ihre Entstehung oder Verschlimmerung zu verhindern. Dabei sind die Studierenden selbst krankmachenden Studienbedingungen ausgesetzt. Enormer Prüfungs- und Leistungsdruck durch immer noch veraltete und verschulte Strukturen belasten massiv. Die vorlesungsfreie Zeit kann nicht zur Erholung genutzt werden, denn dort müssen Famulaturen, Praktika oder Erwerbstätigkeit geleistet werden. Im Praktischen Jahr wird eine 40-Stunden-Woche in der Klinik gefordert, wobei häufig aufgrund von Fachkräftemangel bereits viel Verantwortung übernommen werden muss und/oder keine angemessene Ausbildung stattfindet. Dafür erhalten die Studierenden meist keine oder eine geringe Aufwandsentschädigung. Daher muss zusätzlich am Wochenende einer weiteren Erwerbstätigkeit nachgegangen werden. Zudem sind insgesamt nur 30 Tage Abwesenheit gestattet, egal ob krankheits- oder urlaubsbedingt. Daher wird häufig trotz Krankheit gearbeitet. Medizinstudierende sind stark belastet, sollen sich jedoch wiederum um die Gesundheit anderer Menschen kümmern. Hierbei wird deutlich, wie ein Studium das Gegenteil von dem hervorbringt, wofür es eigentlich da sein sollte. Prinzipiell gilt: Diese Pervertierung des eigentlich erfreulichen und gesellschaftlich verallgemeinerbaren Sinngehalts der Tätigkeit „Studieren“, sowie der geschaffene Eindruck weitgehender Einflusslosigkeit gegenüber den strukturellen Rahmenbedingungen des eigenen Lebensumfelds sind hochgradig gesundheitsschädliche Faktoren.

Um der sozialen und gesundheitlichen Ungleichheit von Studierenden entgegenzuwirken, bedarf es daher dringend förderlicher Rahmenbedingungen für ein gesundes Studieren.

Dazu gehört ein „BAföG für Alle“, um einerseits der akuten sozialen Prekarität entgegenzuwirken, was Geld für gesundes Essen, ausreichend Schlaf und weniger existenzielle Sorgen ermöglicht. Andererseits ist ein „BAföG für Alle“ ein Befreiungsschlag, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die eigenen Einfluss-, Teilhabe- und Veränderungsmöglichkeiten und somit wachsende Handlungsfähigkeit und Verfügung über die eigenen Lebensbedingungen zu gewinnen. Dies wiederum fördert die Selbstwirksamkeit von Studierenden und trägt somit direkt zur Gesundheitsförderung bei. Zudem fördert es eine gedeihliche Persönlichkeitsentwicklung und die Herausbildung solidarischer Zusammenhänge unter Studierenden. Eine so geförderte, organisierte Studierendenschaft kann zudem wesentlich wirksamer dafür eintreten, dass Hochschulen zur gesundheitsförderlichen Lebenswelt für Alle werden. Dafür braucht es eine bedarfsgerechte und angemessene Finanzierung von Hochschulen durch die öffentliche Hand. Es bedarf sinnvoller Studieninhalte mit gesellschaftlicher Bedeutung. Studierende sollten befähigt werden, einen Beitrag zur Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele und somit zu positiver gesellschaftlicher Entwicklung zu leisten. Es bedarf einer Abkehr von Prüfungen, Noten und Fehlversuchen als Konkurrenzinstrumenten, hin zu gemeinsamem, interessegeleiteten Lernen zur Lösung realer gesellschaftlicher Probleme.

Studieren kann unter diesen Voraussetzungen eine sinnstiftende und bedeutungsvolle Tätigkeit sein, die, abgesichert durch ein bedarfsgerechtes BAföG, eine Ressource für die Gesundheit von Studierenden und der Gesellschaft insgesamt wird. Dieser Kampf für die Gesundung beginnt mit dem Kampf für ein „BAföG für Alle“!


Diversität statt Elitarismus – ein Unterschied ums Ganze


Wie kann „BAföG für Alle“ dazu beitragen, das Studium gesellschaftlich produktiver, sinnvoller und damit erfreulicher zu machen?

Im Hinblick auf die aktuelle Lage des Psychologiestudiums ist beispielhaft immer stärker die Bildung eines elitären, schwer zugänglichen Studiengangs zu beobachten. Von steigenden NCs über starken Leistungsdruck bis hin zu mangelnden Masterplätzen wird das Studium von Anfang an schwerer gestaltet als es sein müsste. Damit werden vor allem Studierende aus Personengruppen benachteiligt, die sowieso schon mit struktureller Diskriminierung zu kämpfen haben. Das Studium verliert an Diversität und damit geht auch eine Vielzahl kompetenter und qualifizierter Psycholog:innen verloren, die es in Deutschland dringend benötigt. Um einen positiven Wandel zu erzielen und diesen Ungerechtigkeiten entgegenzuwirken, braucht es strukturelle und politische Veränderungen. „BAföG für alle“ kann hierbei ein erster wichtiger und gut umsetzbarer Schritt sein, um mehr Menschen den Weg zum Studium zu ermöglichen.

Finanzielle Sicherheit spielt insbesondere im Psychologiestudium eine essentielle Rolle, da der Weg hin zum/zur psychologischen Psychotherapeuten:in zehn Jahre in Anspruch nimmt. Dabei müssen die fünf Studienjahre selbst finanziert werden, ohne danach die Aussicht auf ein volles Therapeut:innen-Gehalt zu haben, da darauf die nicht voll vergütete Ausbildung folgt. Diese lange Studien- und Ausbildungszeit kann vor allem für Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Hintergrund eine Ursache sein, kein Psychologiestudium zu beginnen. Dieses Studium befindet sich also fernab von Chancengleichheit oder Diversität. Gerade diese ist jedoch essenziell, um psychische Leiden zu begreifen und zu überwinden.

Beispiel: Psychologie der Armut

Armut ist ein strukturelles Problem, das therapeutisch nicht behandelt werden kann. Es ist nicht möglich, auf individueller Ebene ein Symptom des Kapitalismus zu therapieren. Menschen, die in Armut oder unsicheren finanziellen Verhältnissen leben, haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer psychischen Krankheit. Dies macht es dann wiederum schwieriger, überhaupt ein Studium abschließen zu können oder gar „erfolgreich“ auf dem Arbeitsmarkt zu sein. So ergibt sich ein Teufelskreis, aus dem viele nicht herauskommen können.

Auch deswegen wird in den letzten Jahren die Kritik beispielsweise an der Verhaltenstherapie immer nachdrücklicher. Oft ist das gewünschte Ergebnis nur die wiederhergestellte Arbeitskraft, anstatt eine tiefere Auseinandersetzung mit strukturellen Faktoren zu eröffnen, die zur Entstehung und Aufrechterhaltung einer psychischen Störung maßgeblich beitragen.

Sozialkritisch verstanden und praktiziert kann Psychotherapie hingegen auch auf individueller Ebene die Persönlichkeitsentwicklung und das Erkennen von Selbstwirksamkeit befördern, was zur Behebung strukturell-gesellschaftlicher Missstände beiträgt.

Psychologie bestimmt Gesellschaft

Das Gebiet der Psychologie ist in sich politisch, da es bestimmt, wer als „normal“ und wer als „gestört“ bezeichnet wird. Dabei wurde es historisch mehrfach dafür missbraucht, die Leiden marginalisierter Gruppen als „Störung“ zu bezeichnen, anstatt als eine schlüssige Rebellion gegen menschenverachtende Zustände (z.B. „Hysterie“). Es fehlt im Curriculum stark an Kritischer Psychologie und der Auseinandersetzung mit Themen wie Rassismus, Behindertenfeindlichkeit, Sexismus und Klassismus, die vor allem für angehende Psychotherapeut:innen essentiell sind, um Patient:innen mit Würde und Kompetenz bzw. überhaupt wirksam behandeln zu können. Indem bis dato überwiegend Studierende aus Familien mit höherem Einkommen zum Psychologiestudium zugelassen werden, fehlt es von vornherein an kritischen und diversen Stimmen, die bereit und motiviert sind, diese Missstände zu betrachten oder gar zu bekämpfen. Das „BAföG für Alle“ ist daher ein bedeutsamer Schritt, da es erheblich zur sozialen Öffnung des Studiengangs beiträgt.

Die Psychologie ist ein Abbild der Gesellschaft, da hier die aktuellen Menschenbilder gelehrt werden. Diese Menschenbilder betonen oftmals die Wichtigkeit der Arbeitskraft und Produktivität des Menschen für die Gesellschaft. Unter anderem, dass mit ausreichend Motivation und Willenskraft auf individueller Ebene „alles“ möglich und zu erreichen sei. Auf diese Weise werden zu großen Teilen die aktuellen gesellschaftlichen und strukturellen Machtverhältnisse erhalten. Dies führt dazu, dass Missstände, wie beispielsweise Armut, Diskriminierung und Klassismus, erhalten und ausgeweitet werden. Aufgrund dieser Probleme braucht es dringend eine Demokratisierung der Psychologie hin zu einem Menschenbild, das vielmehr Gemeinschaft, Menschlichkeit und Solidarität in den Vordergrund stellt. Denn nur, wenn der Mensch als gesellschaftliches Wesen statt als vereinzeltes Individuum im Kapitalismus handelt, können positive Veränderungen und Reformen auf struktureller Ebene nachdrücklich gefordert und erzielt werden. Diese notwendige Demokratisierung wird erheblich begünstigt, wenn eine sozial diversifizierte Studierendenschaft auch bessere Bedingungen hat, die Studiengestaltung demokratisch mitzubestimmen.

Gesellschaft, soziale Strukturen, Politik und Psychologie sind unumgänglich miteinander verbunden, weshalb eine ausreichende und menschenwürdige Finanzierung des Studiums wechselseitig positive Veränderungen mit sich bringen würde. Insofern ist “BAföG für alle” grundlegend für eine diverse und aufgeklärte Psychologie und wegweisend für ein Menschenbild der Solidarität sowie zum Aufbau einer fairen Gesellschaft.


BAföG für Alle – eine volkswirtschaftliche Win-Win-Win-Win-Situation


Entgegen allen neoliberalen Behauptungen ist das „BAföG für alle“ keine hedonistische Traumtänzerei oder unzumutbar teure Belastung der Staatsfinanzen, sondern selbst aus volkswirtschaftlicher Sicht ein sinnvoller und entscheidender Beitrag zur Krisenlösung.

Es braucht massive Investitionen in Bildung und Wissenschaft und damit in die Entwicklung des technischen wie sozialen und politischen Fortschritts. Es geht um eine demokratisierende, sozialstaatliche Studienförderung, die der tatsächlichen gesellschaftlichen Funktion und dem Charakter des Studiums gerecht wird, indem sie Emanzipation durch Bildung befördert.

Mit der internationalen Vergesellschaftung des Produktionsprozesses und seiner zunehmenden Verwissenschaftlichung sowie den wachsenden globalen Herausforderungen (rund 900 Millionen Menschen leiden unter Hunger, während die Weltbevölkerung auf aktuellem Stand 2,5 Mal ernährt werden könnte) steigt der gesellschaftliche Bedarf an qualifizierten Persönlichkeiten, die in der Lage sind, alle Lebensbereiche wissenschaftlich zu durchdringen und kooperativ sinnvoll zu gestalten. Die Demokratisierung des Zugangs zu Bildung durch ein ausgebautes „BAföG für Alle“ ist dafür unverzichtbar und eine grundlegend erforderliche Alternative zu Armut und struktureller Gewalt. Durch die Ermöglichung des Studiums unabhängig von sozialer Herkunft und ökonomischem Druck steigt die Anzahl der Menschen, die die Möglichkeit haben, an Forschung und Lehre mitzuwirken und durch sinnvoll angewandten wissenschaftlichen Fortschritt (technisch, sozial und politisch) die Arbeitsproduktivität zu steigern. Diese „progressive Spirale“ ist historisch gesehen die treibende Kraft der globalen Zivilisationsentwicklung. Bessere Bedingungen zur humanen Lösung kultureller, sozialer, ökonomischer, ökologischer und politischer Krisen und Konflikte werden so geschaffen. Auf diese Weise trägt eine auskömmliche Studienfinanzierung zu nachhaltigem Wachstum bei.

Die Bereitstellung finanzieller Mittel für diese Zwecke ist daher sinnvoll und notwendig. Es kostet in den entwickelten Industrieländern wenig und bringt enorm viel. Wir leben auch hierzulande noch immer weit unter unseren Verhältnissen, weil die private Profitanhäufung einiger Weniger die Konjunktur, d.h. die öffentlichen Investitionen und damit prinzipiell die Entwicklung des Gemeinwesens, hemmt – obwohl alle technischen und organisatorischen Voraussetzungen für gerechte Umverteilung geschaffen sind. Dieses Verhältnis wurde gegen wachsenden Unmut infolge der Finanzkrise 2008 mit der Einführung der Schuldenbremse verschärft. So wurden Sozialausgaben wie für das BAföG ab 2011 gesenkt, während das BIP und der Gesamthaushalt der BRD, wie auch die Zahl der Studierenden weiter wuchsen.

Eine Trendumkehr zu Gunsten der Ankurbelung des Massenkonsums bzw. zur Stärkung der Binnenkaufkraft steht längst auf der gesellschaftlichen Tagesordnung. Das ist schon 1971 mit Einführung des BAföG möglich gewesen und ist heute umso nötiger.

Anfang des Jahres 2024 befindet sich Deutschland in einer wirtschaftlichen Rezession von -0,3 % (Rückgang des BIP, preisbereinigt). Bei der Frage „Wer bezahlt diese Krise?“ gehen gesellschaftliche Vernunft und politische Realität jedoch diametral auseinander. Die Produktionskosten, welche die Unternehmer für die Herstellung der Waren bezahlen, hat sich um 11 % verringert. Die staatlichen Ausgaben in der gleichen Periode wurden um 11 % erhöht. Übersetzt: Der Staat subventioniert die Profitsteigerung für die ganz Wenigen. Im gleichen Zeitraum ist der Verbraucher-Preis beim Einkaufen für die Vielen um 3 % gestiegen. Und die DAX-Konzerne haben Rekordgewinne mit einer Dividendenerhöhung um 3 % im Vergleich zum Vorjahr eingefahren. Wieder übersetzt: Die Vielen haben die Dividenden der ganz Wenigen bezahlt. Zusammengefasst: Die staatlichen Investitionen gehen derzeit direkt als Subventionen zum Großkapital, während die übergroße Mehrzahl die Krise doppelt bezahlt (durch staatliche Ausgabenkürzungen, sprich Sozialabbau und durch höhere Preise sprich „Inflation“). Vernünftig hingegen sind staatliche Investitionen und öffentliche Ausgabensteigerungen für die produktiven Bereiche der Gesellschaft (Bildung, Gesundheit, Soziales, Kultur und öffentliche Infrastruktur).

Die staatliche Ausfinanzierung sozialer Bedarfe nach dem Prinzip des „BAföG für Alle“ wirkt als wirtschaftliche Maßnahme gegen die Verschärfung der Krise, da mit der Kaufkraftstärkung von Menschen mit niedrigem Einkommen sofort und mit nachhaltiger Wirkung die Konjunktur angekurbelt wird. Jeder Euro bei Studierenden steigert die Nachfrage nach Gütern des täglichen Bedarfs, weil wir das Geld ausgeben und damit unmittelbar „reinvestieren“, statt es in Offshore-Steueroasen oder spekulativen -Kapitalanlagen destruktiv zu horten. Dadurch wachsen unmittelbar das BIP und die Steuereinahmen, sodass die Staatsausgaben für das BAföG im Folgejahr ihrer Verausgabung refinanziert sind. Zusätzlich steigt mit wachsender Binnennachfrage bei den Unternehmen die Absatz- und Gewinnerwartung und damit die Investitionsneigung. Die Produktion wird hochgefahren, mehr Arbeitskräfte werden dafür benötigt, die mit ihrem steigenden Lohn wiederum für zusätzliche gesamtwirtschaftliche Nachfrage sorgen. Mit gesteigerten Konsumausgaben und Investitionen werden auch mehr Steuern gezahlt, die wiederum staatlicherseits sinnvoll zur Entwicklung des Allgemeinwohls ausgegeben werden können. Die langfristig positiven Effekte eines wachsenden Qualifikationsniveaus und der enormen Steigerung wissenschaftlicher Erkenntnisse durch die Ermöglichung eines produktiven Studierens für die große Mehrzahl durch „BAföG für Alle“ kommen noch hinzu. Jeder BAföG-Euro kommt also vervielfacht in den Wirtschaftskreislauf zurück. Insofern sind Studierende eine treibende Kraft für die Belebung der Konjunktur, die Realisierung humaner Ansprüche an eine bessere Welt und die Schaffung umfassender gesellschaftlicher Perspektive.

Kurz gesagt: Wir brauchen kluge Köpfe statt leerer Bäuche.


Würde des Menschen statt Armut per Gesetz
Zur grundrechtlichen Bedeutung der Studienfinanzierung


„BAföG für Alle“ ist ein Recht mit Verfassungsrang, das als solches neu zur Geltung gebracht werden muss. Wie ist das zu verstehen?

Gemäß Art. 1 des Grundgesetzes (GG) ist die Würde des Menschen für alle gleichermaßen zu verwirklichen. Der antifaschistische Charakter der 1949 neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland findet darin seinen konzentrierten Ausdruck:

„(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.“

Den Verfassungsgebenden war bewusst, dass die Entwicklung der Sozialstaatlichkeit eine Voraussetzung für die Verwirklichung der gleichen Würde Aller darstellt und dass diese historisch und ökonomisch an konkrete Bedingungen geknüpft ist. Mit den Artikeln 14 und 15, die das Privateigentum schützen, aber zugleich darauf verpflichten, zum Allgemeinwohl beizutragen und auch die Möglichkeit der Enteignung eröffnen, sowie mit dem Sozialstaatsgebot (Art. 20) ist daher die Absicht ausgedrückt, die soziale und wirtschaftliche Gestaltung der Gesellschaft demokratischen Entscheidungen zugänglich zu machen, statt sie der bloßen Unternehmermacht zu überlassen. Dieser Anspruch beinhaltet auch, dass die sozialstaatlichen Fundamente zur Verwirklichung der Grundrechte entsprechend der dynamischen Entwicklung der gesamtgesellschaftlichen Produktivität (Mehrung des gesellschaftlich erarbeiteten Reichtums) gleichfalls dynamisch ausgestaltet werden müssen.

Da seit 1949 bzw. seit der Einführung des BAföG 1971 die gesamtgesellschaftliche Produktivität und Vermögensbildung enorm angestiegen ist, ist heute eine öffentliche Finanzierung des Studiums durch ein bedarfsgerechtes „BAföG für Alle“ eine konsequente Folgerung aus dem Grundgesetz selbst. Anders gesagt: Das Grundgesetz fordert vom Staat, die „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ (Art. 2), den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3), das Recht auf Freiheit der Künste und der Wissenschaft (Art. 5) sowie das Recht auf freie Wahl des Berufs, des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte (Art. 12) finanziell zu untersetzen und eröffnet dafür den Weg zur gerechten Umverteilung des gesellschaftlich erarbeiteten Reichtums von Oben nach Unten.

Der juristische Kampf für ein „menschenwürdiges Existenzminimum“

Aus der Unverletzlichkeit der Menschenwürde leitet das Bundesverfassungsgericht das Recht auf ein „menschenwürdiges Existenzminimum“ ab. Die Höhe der Sozialleistungen („Bedarfssätze“) ist politischer Aushandlung unterworfen; grundsätzlich müssen sie aber plausibel gemacht werden und nicht allein ein „Überleben“, sondern die „Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen“.

Das BAföG erfüllt diese Maßstäbe nicht einmal für die Wenigen, die es erhalten. Es hat einen Regelbedarfssatz von 511 Euro. Das sind noch rund 50 Euro weniger als der Lebensbedarf beim ebenfalls viel zu knapp bemessenen Bürgergeld. Für das Wohnen können noch etwas über 300 Euro dazukommen – wer kann davon ein Zimmer mieten? Zusammen mit den 122 Euro für die Kranken- und Pflegeversicherung liegt der aktuelle BAföG-Höchstsatz deshalb bei unzureichenden 934 Euro.

Eine Schweinerei besteht in der bisher vom Gesetzgeber (Bundestag) und der Regierung vertretenen Auffassung: Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum stehe Studierenden nicht zu, da sie jederzeit das Studium abbrechen könnten, um ihre Existenz durch eine Erwerbstätigkeit zu sichern. Sie befänden sich deshalb nicht in einer existenziellen, von der Menschenwürdegarantie erfassten Notlage. Die Spitze vom Sack ist, dass BAföG als teilweise verzinstes Darlehen nach abgeschlossener Ausbildung auch noch hälftig zurückzuzahlen ist – oder eben Studierende, weil sie es nicht bekommen, gleich zur Bank geschickt werden. Menschenwürde also nur auf Kredit?

Das ist realitätsfremd und zutiefst menschenverachtend.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in einem Urteil 2010 definiert, wie das soziale Existenzminium verstanden werden möge: „Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt.“ Das Bundesverwaltungsgericht (BVG) hält daher die gegenwärtigen BAföG-Sätze nicht für verfassungskonform. Nun liegt deshalb dem Bundesverfassungsgericht eine exemplarische Klage vor, die bald zur Entscheidung steht. Die Konsequenzen werden über das Urteil hinausgehen müssen.

Menschenwürde – mehr als ein Minimum!

Nie wieder darf es zu Verbrechen gegen die Menschheit kommen; dafür ist die Verwirklichung des Gebots der Menschenwürde elementar. Dies hat auch Konsequenzen für die Hochschulen. Nachdem die Universitäten im Wege ihrer Selbstgleichschaltung im Faschismus nahezu 40% ihrer Lehrenden aus politischen und rassistischen Gründen vertrieben hatten, woran Organisationen der Studierenden mehrheitlich mitwirkten, legten nicht nur die Autor:innen des Grundgesetzes, sondern auch die Befreier bewusst Wert darauf, dass Wissenschaft und Bildung dem Frieden, der Gerechtigkeit, der Humanität, Wahrhaftigkeit und Demokratie dienen sollen.

Im „Blauen Gutachten“ des von den britischen Besatzungsbehörden eingesetzten Ausschusses zur Hochschulreform (1948) heißt es u.a.: „Gewiß kann man nicht durch Institutionen allein Neues schaffen. Es wird immer von den Menschen abhängen, wie sie sie mit Leben erfüllen. Aber wenn an einer Stelle, dann sollte an den Universitäten und Hochschulen gelebte Demokratie verwirklicht werden. Die Hochschulen sind groß genug, um ein Staat im Kleinen sein zu können, und noch klein genug, um gewachsene und nicht nur organisierte Lebensformen aus sich heraus schaffen zu können. (…) Das Recht des Mitwirkens leitet sich dabei nicht ab aus einem Privatinteresse oder dem besonderen Interesse einer Gruppe, sondern aus dem Wesen der Körperschaft, die ihre Mitglieder zu verantwortungsvoller Mitarbeit heranzieht.“

In diesem historischen wie aktuell sozialen Verständnis ist die Würde der Studierenden nur gewährleistet, wenn sie die sozialen Voraussetzungen haben und wahrnehmen, zur Würde aller Menschen und einem Leben in Frieden durch humanistisch gebildete, gemeinschaftliche Gestaltung der Lebensverhältnisse beizutragen.

Dies bedeutet, dass die Teilhabe an der wissenschaftlichen Entwicklung der Gesellschaft allen sozial zugänglich sein muss. Ferner müssen Studierende als mündige Menschen unbedrängt sein von Interessen privater Geldgeber und dürfen auch nicht der kulturell-inhaltlichen Normierung des Staates vermittelt über „Leistungskontrollen“ unterstehen. Erst dies gibt der „Wissenschaftsfreiheit“ des Art. 5 GG Substanz.

Studierende müssen für ihre gesellschaftlich notwendige Tätigkeit (forschendes Lernen zum allgemeinen Wohl) angemessen entgolten werden. Dieser Anspruch geht über die Sicherung eines „sozialen Existenzminimums“ hinaus.

Aus dem grundrechtlichen Leitbild einer würdigen Lebensführung als Teil humanistisch-antifaschistischer Gesellschaftsgestaltung ergibt sich ein konkretisierbarer Rechtsanspruch auf soziale Förderung. Das Grundgesetz verpflichtet das staatliche Handeln auf die Gewährleistung der sozialen Voraussetzungen für die Wahrnehmung der Grundrechte durch alle.

Die Verwirklichung der Menschenwürde ist kein fernes „Ideal“, sondern ein akuter gesamtgesellschaftlicher und staatlicher Auftrag zur aktiven Gestaltung der gemeinschaftlichen Lebensverhältnisse.

„BAföG für Alle“ bedeutet also nicht allein, eine sozial wie gesellschaftlich notwendige Förderung zu erstreiten, sondern anhand der Bildungsfinanzierung ein Menschenbild und Demokratieverständnis neu zu verwirklichen, das mit dem antifaschistischen Impetus des Grundgesetzes korrespondiert. Es ist an der Zeit!


Es geht! Sinnvolle Studienfinanzierung in anderen Ländern


In einigen europäischen Ländern ist die Studienfinanzierung bereits wesentlich fortschrittlicher entwickelt als hierzulande. Wir tragen hier einige Beispiele zusammen, um zu verdeutlichen, auf welche existierenden Errungenschaften sich der Kampf für ein „BAföG für Alle“ stützen kann.

Beispiel Norwegen: Elternunabhängige Entwicklung

Die „Staatliche Darlehenskasse für Ausbildung“ (Statens lånekasse for utdanning) wurde bereits 1947 gegründet. Eines ihrer wesentlichen Merkmale ist der Anspruch auf Demokratisierung des Studiums durch materielle und soziale Ermöglichungen. Sie wurde eingerichtet, um den Zugang zum Studium von der sozialen Herkunft zu entkoppeln.

Das heißt auch: unabhängig von den Eltern. Aus diesem Grund gilt in Norwegen, dass alle Studierenden (unter bestimmen Voraussetzungen auch solche aus dem EU-Ausland) einen Basiskredit beantragen und erhalten können. Das Einkommen der Eltern spielt dabei keine Rolle.

Seit ’68 und den 70er Jahren wird die Elternunabhängigkeit als hohes Gut angesehen. Das Studium gilt als eigenständige Phase im Leben, mit neuen Herausforderungen als Teil der Persönlichkeitsentfaltung.

Knapp 85% eines Abiturjahrgangs nimmt ein Studium auf. Mit dieser Art der Studienförderung wird also ein hohes allgemeines Bildungs- und Entwicklungsniveau realisiert.

Circa 70% der Studierenden nehmen die Studienförderung in Anspruch; insgesamt erhalten 434.000 Schüler und Studierende die Leistungen. Die Ausgaben der staatlichen Darlehenskasse betragen insgesamt gerade einmal 38 Mrd. NOK (3,4 Mrd. Euro). Pro Monat und Person sind das durchschnittlich 7.300 NOK (645 Euro).

Beispiel Dänemark: Vollzuschuss für alle Studierenden

In Dänemark haben alle Studierenden ein Recht auf die staatliche Ausbildungsförderung (Statens utdannelsesstøtte, SU), sofern sie weniger als einen bestimmten Betrag verdienen. Es handelt sich um einen Vollzuschuss, der nicht zurückgezahlt werden muss und sich aktuell auf 6.589 DK (ca. 890 Euro) im Monat beläuft. Zusätzlich kann ein Kredit von bis zu 3.371 DK (455 Euro) aufgenommen werden.

Die Ausgaben betragen insgesamt 22.7 Mrd. DKR (dies entspricht 3,1 Mrd. Euro). 447.737 Menschen erhalten den Zuschuss; 97.633 erhalten den Kredit.

Auch EU-BürgerInnen können die Ausbildungsförderung erhalten, wenn sie mindestens elf Stunden in der Woche einer Erwerbsarbeit nachgehen.

Die Voraussetzung für einen vollen Zuschuss ist, dass man nicht bei den Eltern wohnt. Die Elternunabhängigkeit wird also auch in Dänemark großgeschrieben. Die Kombination aus Vollzuschuss ohne Schuldenangst, Elternunabhängigkeit und schnellem, unbürokratischem Zugang (das geht!) führt dazu, dass 96 Prozent der Studierenden ausziehen (zum Vergleich: in Deutschland bleibt ein Fünftel „zu Hause“) und insgesamt 85 Prozent der Studierenden die Ausbildungsförderung in Anspruch nehmen.

Beispiel Finnland: Grundlegende Gleichheit und Gesundheit

Das Erfolgsmodell Finnlands in der Bildung basiert auf einem Schulsystem, das mit dem der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) eng verwandt ist. Die Schüler:innen gehen (wie in den anderen skandinavischen Ländern) neun respektive zehn Jahre gemeinsam in die Schule, die sich durch ein hohes Maß an Gleichheit und individueller Förderung auszeichnet. Nach dem Gymnasium entscheiden sich zwei Drittel der Abiturient:innen für ein Studium (in Deutschland ist es nicht einmal ein Drittel).

Die (teil-)staatliche Studienförderung soll vor allem dafür sorgen, dass mehr Menschen studieren können und das Bildungsniveau weiterentwickelt wird. Die Förderung setzt sich aus drei Komponenten zusammen: Einem allgemeinen Zuschuss (so genanntes „Bildungsgeld“) als 100-prozentiger Subventionierung, einem Studienkredit, der in einer privaten Bank aufgenommen wird, wobei der Staat für bis zu 300 Euro bürgt, sowie einem besonderen Mietzuschuss, der vom Einkommen abhängt und 80 Prozent der Mietkosten deckt. Die durchschnittliche Höhe der Studienförderung (alle drei Komponenten zusammen) im Jahr 2021 betrug 10.200 Euro für Absolventen eines berufsqualifizierenden Grundstudiums, 16.500 Euro für Absolventen eines Fachhochschulstudiums und 19.800 Euro für Absolventen eines höheren Hochschulstudiums.

Beispiel Österreich: Die Nachbarn schöpfen Potenzialität besser aus

Österreich ist der Bundesrepublik politisch und ökonomisch sehr ähnlich, obgleich kleiner und ländlicher. Die Wirtschaftsleistung pro Person ist nahezu gleich. Der Anteil der Studierenden an der Gesamtbevölkerung ist mit ca. 4,4% höher als hier (3,52%). In beiden Ländern arbeiten rund 70 Prozent der Studierenden „nebenbei“ und mehr als zwei Drittel leben unter der Armutsgefährdungsgrenze. Ähnlich der Bundesrepublik Deutschland erhielten auch in Österreich bis 2021 nur rund 12,5 Prozent eine staatliche Studienbeihilfe.

Wie in Deutschland gilt: Es gibt einen Rechtsanspruch, die Förderung wird aber grundsätzlich abhängig vom Elterneinkommen bezahlt. Sie ist leistungsgebunden. Es gibt elternunabhängige Förderung für rechtlich anerkannte Geflüchtete und für Menschen, die bereits eine Ausbildung absolviert haben. Allerdings gibt es auch signifikante, positive Unterschiede: Sofern man einen Abschluss macht, ist die Studienförderung ein Vollzuschuss für die Dauer der Regelstudienzeit plus ein Semester, also verschuldungsfrei (zurückzahlen muss allerdings, wer das Studium abbricht). Zudem gelang es in jüngster Zeit, einige Reformen zu erkämpfen:

Die Hilfe wurde zum Wintersemester 2022 um 8% erhöht, nachdem sie 10 Jahre lang stagnierte. Ihr Grundbetrag beträgt nun maximal 891 Euro, ab dem 28. Lebensjahr maximal 923 Euro. Das Wichtigste: Die Studienbeihilfe wird seit 2022 regelmäßig der Inflation angepasst!

… und der Kampf geht gemeinsam weiter!

Die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) und die linken Studierendenverbände machen Druck, die Reform konsequent zu erweitern. Sie fordern Gebührenfreiheit für alle sowie eine Erhöhung und den Ausbau der Studienbeihilfe: Die Altersgrenze soll abgeschafft, Zugang für alle Studierenden aus Drittstaaten gewährt und die Bezugsdauer auf die Durchschnittsstudienzeit verlängert werden. Zudem fordert die ÖH ein kostenloses Klimaticket und Maßnahmen gegen die hohen Mietpreise.

Der kontinuierliche Inflationsausgleich bei der Studienförderung ist ein echter Kampferfolg. Die weitergehenden Forderungen entsprechen unseren weitgehend. So lässt sich erkennen: „BAföG für Alle“ ist ein grenzüberschreitend gemeinsamer Kampf, bei dem wir von unseren Nachbar:innen noch einiges lernen können!


„Wie es ist, bleibt es nicht“ – der Kampf um das BAföG hat Geschichte


„1. Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung. Die Bildung ist unentgeltlich, zum mindesten der Grundschulunterricht und die grundlegende Bildung. Der Grundschulunterricht ist obligatorisch. Fach- und Berufsschulunterricht müssen allgemein verfügbar gemacht werden, und der Hochschulunterricht muss allen gleichermaßen entsprechend ihren Fähigkeiten offenstehen.

2. Die Bildung muss auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein. Sie muss zu Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Nationen und allen ethnischen oder religiösen Gruppen beitragen und der Tätigkeit der Vereinten Nationen für die Wahrung des Friedens förderlich sein.“

ALLGEMEINE ERKLÄRUNG DER MENSCHENRECHTE , ARTIKEL 26

In wessen Interesse und zu welchen Zwecken gelernt, gelehrt und geforscht wird, ist gesellschaftlich umkämpft und seit jeher mit der Frage des Zugangs zu den entsprechenden Institutionen untrennbar verbunden. Das BAföG stellt einen immensen zivilisatorischen Fortschritt in dieser Kontroverse dar, der dringend auszuweiten ist.

Der Besuch einer Universität war von Beginn an wesentlich dem Adel und dem Großbürgertum vorbehalten und diente zunächst vorrangig der Bildung der gesellschaftlichen Eliten und somit der Reproduktion des Machterhalts eben dieser gesellschaftlichen Schicht. Durch die Revolution 1918/19 konnte zwar formal ein gleicher Zugang zu den Universitäten erreicht werden, die Universitäten blieben aber von einem elitären Charakter geprägt und systemimmanente soziale Hürden sowie Selektionsmechanismen (z.B. das Arbeiten neben dem Studium, Latein oder Altgriechisch als Zugangsvoraussetzung, Armut in der Familie) blieben weitestgehend bestehen. In der Weimarer Republik war der Anteil an Frauen und Arbeiterkindern an den Universitäten folglich weiterhin äußerst gering. Die Einrichtung von Vereinen zur finanziellen Unterstützung wie der „Studentenhilfe e.V.“ und von Studentenwohnheimen ermöglichten allerdings kleinen Teilen des Beamtentums den Hochschulzugang.

Hochschulzugang für alle – Eine Konsequenz aus dem Faschismus

Insbesondere der Elitarismus bildete den Nährboden für die 1933 vollzogene Selbstgleichschaltung der Universitäten. Auf dieser Grundlage wurden der systematische Ausschluss und die Verfolgung bis hin zur Ermordung jener Universitätsmitglieder forciert, welche nicht dem sozialchauvinistischen und rassistischen Menschenbild der Nazis entsprachen. Zugang zu den Universitäten erhielten nur diejenigen, die der propagierten „Volksgemeinschaft“ ideologisch zuträglich waren.

Aus der Mitverantwortung der Hochschulen an den faschistischen Verbrechen zog die britische Besatzungsmacht unter Mitwirkung von Antifaschist:innen aus Kirchen, Gewerkschaften, Parteien und Wissenschaft im sogenannten „Blauen Gutachten für die Hochschulreform“ von 1948 folgende Konsequenz: „Mit allen Mitteln muß danach getrachtet werden, daß entsprechend der Veränderung der Struktur der Gesellschaft begabte Kinder aus dem Arbeiterstand in weit stärkerem Maße als bisher den Zugang zur Hochschule finden. […] Voraussetzung ist allerdings, daß die aus dem Arbeiterstand stammenden Studierenden sich nicht einfach dem neuen Milieu anpassen und darin untergehen, sondern sich vielmehr als stark genug erweisen, das Milieu mitzuformen.“

Diese antifaschistische Konsequenz findet sich im Grundgesetz u.a. im Recht auf Bildung und im Recht auf freie Berufswahl wieder.

Das Ideal wird widerspruchsreich erkämpft

Während in der DDR die Zuwendungen für Studierende stetig stiegen und schon 1962 80% ein Grundstipendium erhielten, blieb das Bildungssystem in der BRD, allerdings politisch gewollt, zunächst fortgesetzt sozial selektiv. Durch den unzureichend geöffneten Hochschulzugang blieb die Hochschulbildung primär ein Privileg der Kinder aus einkommensstarken Elternhäusern. Dieser Umstand sorgte jedoch keineswegs für Ruhe unter den Studierenden. Die Unzufriedenheit über die Abhängigkeit respektive Bevormundung durch das Elternhaus, sowie die unzureichende Alternative des selektiven Stipendienwesens wuchs und es wurde nach einer staatlichen Alternative verlangt. Nach jahrelanger Auseinandersetzung zwischen Studierenden, Hochschulen und der Regierung um eine bundesweit einheitliche Studienfinanzierung wurde 1957 das Honnefer Modell eingeführt, aber nicht gesetzlich verankert. Etwa 15-19% der Studierenden konnten, nach einem Bewerbungs- und Auswahlprozess, dieses Finanzierungsmodell in Anspruch nehmen. Die Anfangsförderung war auf die Vorlesungszeit beschränkt und galt für die ersten drei Semester. Für die anschließende Hauptförderung musste sich dann erneut beworben werden – mit Leistungsnachweisen. Beide Förderungen mussten in Teilen zurückgezahlt werden. Aufgrund der Willkürlichkeit und der unzureichenden staatlichen Finanzierung dieses Modells kam es immer wieder zu Protestkundgebungen und Vorlesungsstreiks.

Zur weitreichenderen Umsetzung der im Blauen Gutachten gefassten Konsequenzen bedurfte es der Auf- und Umbrüche der 1960er Jahre. Teil dieser Auseinandersetzungen war die vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) aufgestellte Forderung nach einem Studienhonorar, also einer nicht zurückzuzahlenden Ausbildungsvergütung. Als Reaktion auf diese Forderung und die damit einhergehenden Proteste wurde unter der sozial-liberalen Koalition Willy Brandts 1971 das BAföG als staatliche und erstmals rechtlich einklagbare Förderung eingeführt. Unter anderem die Gewährung als Vollzuschuss führte dazu, dass eine erhebliche soziale Öffnung und damit eine Demokratisierung der Hochschulen gelang. 1972 bezogen 44,6% der Studierenden BAföG. Von 1971 bis 1974 wurde BAföG als Vollzuschuss gezahlt, danach nur noch als Teildarlehen. Schon im Vorhinein war das neue BAföG-Gesetz in der Studierendenschaft auf Kritik gestoßen. Die Finanzierung wurde von den Studierenden als unzureichend angesehen und vor allem die Abhängigkeit vom Einkommen der Eltern als im Widerspruch stehend zu mündiger Persönlichkeitsentfaltung und dem Recht auf freie Berufswahl kritisiert.

Roll-Back: Neoliberalisierung der Studienfinanzierung

1982 kam es unter der liberal-konservativen Regierungskoalition aus FDP und CDU/CSU zu massiven Kürzungen des Sozialstaates insgesamt und das BAföG wurde in ein Volldarlehen umgewandelt. Alle Studierenden, die BAföG bezogen, mussten dieses nun vollständig zurückzahlen. Als weitere Einschränkung des Hochschulzuganges wollten CDU/CSU Studiengebühren nach US-amerikanischem Vorbild einführen. Dies konnte durch zahlreiche Proteste von Schüler:innen, Studierenden und anderen Hochschulangehörigen, Gewerkschaften sowie Aktiven in der außerparlamentarischen Opposition verhindert werden. Ausgehend von Studierenden der Freien Universität Berlin begann 1988 ein bundesweiter Streik gegen die durch die Einsparungen zunehmend prekären Studien- und Lebensbedingungen an den Hochschulen. Der Streik bewirkte die teilweise Rücknahme geplanter Sparmaßnahmen und ein vom damaligen Bildungsminister Möllemann eingesetzter Ausschuss kam zu dem Schluss, dass das BAföG dringend angepasst werden müsse. Mit der sogenannten Wiedervereinigung stand der Anspruch auf ein Vollstipendium für alle Studierenden, wie er in der DDR realisiert war, wieder neu auf der politischen Tagesordnung. Um diesen Anspruch schnellstmöglich einzuhegen, wurde 1991 ein integrativ reformiertes BAföG verabschiedet. Dieses Modell wurde zu 50% staatlich vollbezuschusst und war zu 50% ein rückzuzahlendes Darlehen. Für die „neuen Bundesländer“ war diese Änderung ein massiver Rückschritt – für die Studierenden aus den „alten Bundesländern“ eine Verbesserung. In den Folgejahren schränkte die CDU/FDP-Regierung die Fördermöglichkeiten allerdings empfindlich ein, so dass 1998 schließlich nur noch 12,6 Prozent der Studierenden BAföG erhielten. Im selben Jahr führte, erfasst vom neoliberalen Unverständnis der Bildung als „Investition in das eigene Humankapital“, die SPD-Grüne-Koalition eine erneute BAföG-Reform durch. Damit die Ausbildung von höher Qualifizierten und dringend benötigten Facharbeiter:innen gelingen konnte, wurde die Deckelung der Darlehensrückzahlungen auf 10.000 € beschränkt, bei gleichzeitig forciertem Druck, die Studiendauer drastisch zu verkürzen. Mit der Einführung des Bachelor-Master-Systems kam es nicht nur zur leistungsorientierten Neuausrichtung der Studiengänge, sondern auch zur Einführung der Förderhöchstdauer des BAföG in Abhängigkeit von der Regelstudienzeit sowie zur Erbringung von Leistungsnachweisen als Bedingung für die BAföG-Berechtigung.

Die Konsequenzen aus der Befreiung heute verwirklichen

Im Zuge der Einführung des Bachelor-Master-Systems wurden 2006 über Verwaltungsgebühren in Deutschland wieder Studiengebühren eingeführt. Beides diente der inhaltlichen Abkehr von der allgemeinwohlorientierten Zwecksetzung von Studium und Lehre hin auf marktkonforme „Employability“. Insbesondere die Studiengebühren standen als soziales Selektionsinstrument mit inhaltlich kultureller Lenkungsfunktion im Zentrum der studentischen Kritik. Im Zuge der Auseinandersetzung um die Abschaffung der Studiengebühren sind auch die Debatten über die Notwendigkeit einer grundlegenden BAföG-Reform wieder dahingehend geweitet worden, den Zugang zur Hochschule für Alle zu öffnen. Bislang blieb es jedoch bei Reförmchen. Die kleinteiligen Änderungen wie die minimale Anhebung der Bedarfssätze, die Erhöhung der Freibeträge oder des Wohnkostenzuschlags sind vollkommen unzureichend und gehen an der eigentlichen Grundproblematik vorbei: Die soziale Herkunft bestimmt noch immer über den Bildungsabschluss. Das aktuelle BAföG ist dem Honnefer Modell wesentlich näher als der Erfüllung des Menschenrechtes auf Bildung für Alle.

Dabei lässt sich aus den historischen Kämpfen der Arbeiterbewegung, der Studierenden- und Auszubildenden-Bewegung von 1968 und dem Kampf für die Gebührenfreiheit des Studiums einiges lernen: Stets stand die gesellschaftlich verallgemeinerbare Bedeutung allgemeinwohlorientierter, emanzipatorischer und daher sozial offen zugänglicher Bildung und Wissenschaft im Fokus, wodurch es gelang, große Teile der Gesellschaft in die gemeinsam zu führende Auseinandersetzung zu involvieren. Vieles spricht dafür, dass auf diese Weise auch eine weitreichende Reform wie das „BAföG für Alle“ zu erreichen ist. Denn die Verwirklichung der im „Blauen Gutachten“ und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gefassten Ansprüche an eine egalitäre Hochschulbildung ist heute mehr denn je nicht zuletzt auch ein antifaschistisches Gebot der Stunde.